KURZGESCHICHTE caput-kaputt


Diese Geschichte ist schon einige Jahre alt, trotzdem aktuell wie nie...

 

Das lateinische Wort caput hat unter anderem folgende Bedeutungen.

Vom Mensch ist es der Kopf. Vom Tier ist es ein Stück.

Von Dingen ist es der Anfang oder das Ende. Auch eine Hauptperson oder eine Hauptstadt kann caput sein.

 

Zwar unterscheidet sich die Schreibweise der beiden Wörter, doch der gleiche Klang lässt mehr Übereinstimmungen ahnen - bedauerlicherweise.

 

Es schaudert mich wenn ich an unsere Köpfe denke, besonders an das, was sich darin befindet, besser gesagt, was sich darin befinden sollte. Grundsätzlich möchte man meinen, dass sich unsere Hirne weiterentwickelt haben, woran ich so meine Zweifel habe…

Ein Zeitungsartikel über ein mitdenkendes Haus schlug meinem Gehirnfässchen dann den Boden aus. Wie kaputt ist unser caput, sprich unser Kopf, wenn wir von New York aus die Heizung unseres Hauses mit dem Tablet steuern? Plötzlich fällt uns in Thailand ein, dass unbedingt die Rollläden im Wohnzimmer geschlossen werden müssen. Na dann nichts wie ran an das unverzichtbare Smartphone (dessen Name ja schon signalisiert dass es geschäftstüchtig ist) und flugs den Hausmeister aus Übersee gespielt. Alleine die Vorstellung eines solchen Szenarios finde ich gruselig. Wo bleibt da der Erholungseffekt, wenn ich am Urlaubsort hausmeisterliche Tätigkeiten ausübe?

Schlimmer noch, man gibt die Kontrolle an ‚intelligente’ Geräte und Maschinen ab. Es mag schon sein, dass durch befähigte Systeme beispielsweise Energie gespart werden kann, zumindest solange das System funktioniert. Doch bereits ein längerer Stromausfall kann sich irritierend auf das Konzept auswirken. Oder der berühmte Wurm in der Elektronik, wenn der mal drin ist, na dann viel Spaß beim Suchen und Finden desselben.

 

Wieso wollen wir Menschen nicht mehr selbst die Verantwortung für unser Tun übernehmen? Häuser denken mit, Autos parken selbstständig ein und wir haben unser kaputtes Hirn an den Garderobenhaken im Flur unseres schlauen Hauses gehängt. Man muss doch selbst wissen, ob man ein Fenster geschlossen hat oder nicht, das überlasse ich doch nicht einem Handy! Je intelligenter die Maschinen, desto bekloppter die Menschheit. Ich frage mich, wer tatsächlich den Nutzen aus dieser befremdlichen Entwicklung zieht?

 

Kaputter werden auch mehr und mehr die Beziehungen unter den Menschen. Natürlich ist es praktisch, elektronische Post zu verschicken. Echte Gespräche sehen dennoch anders aus und fühlen sich anders an. Riechen, spüren und schmecken sind wunderbare Sinne, die auf dem Kabelweg leider auf der Strecke bleiben. Und wenn wir ganz ehrlich sind, wie viele der  SMS oder Mails sind wirklich wichtig, die wir Stunde um Stunde um den Globus blasen? Fünf Prozent vielleicht, oder weniger?

 

Das zwischenmenschliche Verhalten nimmt daher immer bizarrere Züge an…

Bei einem gemeinsamen (gemütlichen?) Abend sitzen sechs Menschen an einem Tisch. Mindestens vier davon haben ein kleines elektronisches Gehäuse in der Hand und verschwinden mit ihrer gesamten Aufmerksamkeit in demselben. Kommunikation kaputt.

Babys werden kurz nach der Geburt in eine Krippe verschoben, Hauptsache wir können unserer Karriere frönen und die Verantwortung unseres höchsten Gutes gleich mit abschieben. Wie kaputt ist das denn?  Fraglos wird von den Erzieherinnen erwartet, dass die Entwicklung des Sprösslings in schicken Portfolios dokumentiert wird, da ErINNERungen aufgrund der häufigen Abgabe des Kindes nicht vorhanden sind. In diesem frühen Stadium wird die Bindungsfähigkeit somit bereits empfindlich gestört.

Und überhaupt, was heißt denn schon Karriere? Lebensweg vielleicht? Eher Hetzjagd! Was wollen wir vom Leben? Viele Menschen hetzen am Leben vorbei und gehen letztendlich kaputt. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, die sich uns bieten. Unser Hirn ist maßlos überfordert mit dem pausenlosen Treffen von Entscheidungen. Man verbringt im Verhältnis viel mehr Zeit im Netz - mit der Suche nach Dingen wie Urlaubsreisen, Elektrogeräten oder Schuhen - als nötig wäre. Zehn Stunden Recherche, um zwanzig Euro zu sparen? Zehn Stunden menschliche Zuwendung, oder Verständigung für zwanzig Euro, wie wär’s denn damit? Zwei Euro pro Stunde unterschreiten den Mindestlohn dermaßen, freiwillig würde kaum jemand auf die Idee kommen, dafür wirklich zu arbeiten. Offensichtlich ist es viel attraktiver, sich mit virtuellen  Begebenheiten zu beschäftigen, als mit wirklich vorhandenen.

 

Die unpersönliche Computersucht treibt noch seltsamere Blüten. ‚Juristen’ durchkämmen (vor allem) das Internet, um Fehler zu finden, die im Grunde lächerlich sind - dennoch lohnt es sich für sie - und sie bestreiten damit, im wahrsten Sinne des Wortes, ihren Lebensunterhalt. „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ lautet deren Devise. Ein aus Versehen hochgeladenes Foto wird so manchem zum finanziellen Verhängnis, ebenso wie ein irrtümlich angeklicktes Kästchen. Recht haben und Recht bekommen sind bekanntermaßen zweierlei Dinge. Ist es gerechtfertigt, wenn derartige Rechtsverdreher die Juristerei, und darüber hinaus die ein oder andere Existenz, mit diesen Methoden kaputt machen? Wo macht jemand Fehler, und wie kann ich demjenigen einen Strick daraus drehen? Solche Anwälte haben wohl nur kaputte Spiegel zuhause, denn guten Gewissens könnten sie ihren eigenen Anblick, angesichts dieser unsozialen Methoden, nicht ertragen. Sind die Gerichte nicht schon übervoll mit Bagatellfällen, in denen eigentlich ein Schnellrichter den Kontrahenten eine Strafe für Gerichtsbelästigung aufbrummen müsste?

 

Wundern brauchen wir uns im Grunde nicht über all diese Auswüchse unseres caput. Es wird ja von oben schon vorgegeben. Erinnern wir uns, caput bedeutet ja auch Hauptstadt, und dort sitzen die (schlauen?) Köpfe, die unsere wiederum gewählt haben sollen. Daselbst werden oftmals Entscheidungen getroffen, die einem Kopf, der de facto noch über den so genannten gesunden Menschenverstand verfügt, nur noch Kopfschmerzen bereitet.

Wieso gibt es eine Rüstungsindustrie? Panzer und Waffen werden gewinnbringend in Länder verschoben, um Städte kaputt zu machen, deren Flüchtlinge wir dann wieder aufnehmen.

Hä?!?

Die Bürokratie, also die Herrschaft der Schreibtischtäter, treibt die, die mit ihren Händen arbeiten, oft in die Verzweiflung oder gar in den Ruin. Handwerkern und insbesondere Menschen, die sich der Pflege anderer annehmen, wird vor lauter Vorschriften und Dokumentationspflichten die Arbeit dermaßen erschwert, dass sie ihren Beruf kaum noch mit Freude ausüben. Vielen vergeht dadurch auch die Lust, sich selbstständig zu machen. Als kleiner Betrieb kann man sich keinen extra Mann leisten, der jeden Tag umständlich irgendwelche bürokratischen Pflichtfelder abhakt. Wozu dient der Aufwand eigentlich? Alles besteht nur noch aus Daten und deren Verwertung. Mit Daten kann ich aber keinen Kuchen backen, kein Dach decken und auch keine Windeln wechseln. Immer mehr Menschen wählen den Weg der Kopfarbeit, damit sie sich ihre manikürten Fingerchen nicht schmutzig machen müssen. Dafür schwingen sie abends -da körperlich nicht ausgelastet- bei Kunstlicht im Fitnessstudio die Hantel.  Diejenigen, die mit ihren Händen arbeiten, müssen diese leistungsarmen Wasserköpfe mitschleppen. Nichtsdestoweniger wird der Energieerhaltungssatz eines Tages seinen Ausgleich finden.  Es hieß schon früher: „Handwerk hat goldenen Boden“. Wenn es eben in einer caput / Hauptstadt eines Tages nur noch einen Klempner gibt, statt vormals fünfhundert, die allesamt den vermeintlich leichteren Weg der Schreibtischtäter gewählt haben, kann der Eine sich mit der Reparatur einer kaputten Klospülung eine goldene Nase verdienen. Dann wird Scheiße doch noch zu Gold, ein tröstlicher Gedanke.

Möglicherweise führt diese seltsame Entwicklung aber auch zu Firmenzusammenschlüssen, am besten inklusive einer Rechtsabteilung, denn gestritten wird noch dazu. Je größer die Firmen, desto geringer die Konkurrenz, womit man aber schon wieder bei den Kartellen wäre, und auch die bestimmen den Preis… 

In der Hauptstadt der Europäischen Union sollten sich die besten Köpfe verbinden mit  derzeit achtundzwanzig europäischen Mitgliedstaaten und einigen Überseegebieten(?!). Was den Vertretern in Brüssel so alles einfiel und immer noch einfällt! Unser wunderbarer, vielschichtiger, abwechslungsreicher Kontinent. Unterschiedliche Menschen mit vielen Sprachen und mannigfaltigen Bräuchen. Wieso versucht man das alles -mit oft fragwürdigen Gesetzen-  in ein Unionskorsett zu pressen.

Sogar mein Urlaubsgefühl wurde dadurch kaputt gemacht. Vor den Grenzkontrollen hatte ich immer diese außergewöhnliche Empfindung, dass man eben diese Grenze überschreitet und ein anderes Land betritt. Wie eine Tür oder eine Pforte, die man öffnet, um einen anderen Raum zu betreten. Das war für mich etwas ganz Besonderes. Zugleich die Suche im Portemonnaie nach Schilling oder Lire, denn bereits das Geldwechseln und Umrechnen hatte diesen speziellen Reiz, der für Sommer, Erholung oder Abenteuer stand.  Jetzt haben wir alle diesen langweiligen Euro und wenn wir über eine Grenze fahren, diese überschreiten, merken wir es nicht einmal…

Und so achten auch diese (von wem auch immer gewählten) Volksvertreter auf keine Grenzübertritte. Alles wird im europäischen Einheitsbrei vermanscht, ob die Entscheidungen sinnvoll sind, oder nicht. Natürlich gibt es auch Verbesserungen, besonders im Sicherheitsbereich, ich will ja nicht alles kaputt reden. Doch muss man beispielsweise einen Autobahntunnel, der noch nicht mal fünfzehn Jahre alt ist, also voll in Schuss, nach EU-Vorschrift für viele Millionen Euro nachrüsten, weil er für seine Länge zu wenige Notausgänge hat. Der  Tunnel war fünf Meter zu lang! Ist das nicht eine Grenzüberschreitung der Verhältnismäßigkeit?

Ebenfalls eine EU-Verordnung ist die leidige Geschichte mit den Energiesparlampen. Kaum einer weiß, dass man die kaputten Dinger getrennt vom Hausmüll entsorgen muss, und viele, die es wissen, machen es aus Bequemlichkeit nicht. Geplatzte Birnen müssen sogar in den Sondermüll! Was für ein Aufwand, vor allem, weil sich die wenigsten die Mühe machen, all diese Vorschriften zu befolgen.

So habe ich mir einen gesunden Zivilungehorsam nicht vorgestellt.

 

Und überhaupt, warum suchen wir auf der einen Seite händeringend nach Möglichkeiten zur Energieeinsparung, um auf der anderen Seite als Elektrojunkies so viel Power wie nie zuvor zu verbraten? Die Einen versuchen die Welt zu retten, die Anderen reisen per Flugzeug zu Spottpreisen in einem Jahr nach Australien, Alaska und Athen, dem Kerosin sei Dank! Gleichzeitig sparen und konsumieren wir uns kaputt. Wo gibt es das günstigste Luxushotel (viel Leistung für wenig Geld) und wo den teuersten Burger, belegt mit Blattgold (also wenig Leistung für viel Geld)? Wo kann ich Rohstoffe sparen und wo kann ich die Einsparungen wieder verschwenden? Ein Computer, den ich mir morgens kaufe ist am Abend schon wieder veraltet. Den Elektroschrott verschiffen wir dann nach Indien, wo Kinder unter unwürdigsten Bedingungen das kaputte Zeug in ihre Bestandteile zerlegen. Leider ist es billiger, sich neue Geräte zu kaufen, als kaputte reparieren zu lassen. Da die Entwicklung, besonders im IT-Bereich, so rasant ist, kann auch kaum noch jemand den alten Krempel reparieren.

 

Vor ein paar Wochen ging mein treuer Drucker kaputt. Er hatte mir bereits überdurchschnittlich lange gedient und unser Verhältnis war prima. Gerne hätte ich ihn behalten und reparieren lassen, doch ich bemühte mich nicht darum, denn die Tintenpatronen für dieses Modell waren bereits vom Markt genommen! Auch das ist so ’ne Masche. Um eine Reparatur zu verhindern, die durchaus im Bereich des Möglichen gewesen wäre, stellt man einfach das Zubehör ein, fein. Also marschierte ich in einen Elektrofachmarkt, um einen neuen Drucker zu erwerben. Der freundliche Verkäufer fragte nach dem Betriebssystem meines Computers. Ich freute mich schon auf seinen Gesichtsausdruck, der gleich folgen würde, und er enttäuschte mich wahrlich nicht. Meine Antwort lautete trocken: „Windows 98“. Der junge Mann schien einer Ohnmacht nahe, was mir ein Grinsen ins Gesicht zauberte, das mir jedoch gleich wieder vergehen sollte. Ob der neue Drucker mit diesem veralteten System noch kompatibel wäre? Er bezweifelte das stark. Für mich als ‚PC-Saurus’ klang es nach einer Herausforderung. Gott sei Dank kenne ich einen wunderbaren Computermenschen namens Karl, der für meine antiquierten Intentionen immer ein offenes Ohr hat. Deshalb schnappte ich mir den Drucker, bezahlte, und verließ optimistisch das Geschäft. Falls es nicht funktionieren würde, dürfte ich das Teil wieder zurückgeben.

Zuhause rief ich Computer-Karl an und schilderte ihm die Lage. Er kam vorbei, um sich die Sache anzusehen. Nein, so würde das leider nicht klappen. Ernüchterung machte sich breit und ich dachte schon daran, einen neuen Rechner zu kaufen, damit den indischen Kindern die Arbeit nicht ausginge. Doch augenblicklich war Karls Ehrgeiz geweckt! Er packte meinen alten, geliebten PC und nahm ihn in seine Werkstatt mit, bastelte und tüftelte. Innerhalb kürzester Zeit rüstete er ihn auf ‚XP’ auf! Ja, die meisten lachen jetzt. Na, umso besser!

Karl hatte von anderen, veralteten und kaputten Computern, die noch brauchbaren Teile – in Form von Hard- und Software - aufbewahrt, die mir nun zugute kamen. Sogar den neuen Drucker konnte ich wieder zurückbringen, denn Karl schloss meinen ‚neuen alten’ Rechner auch noch an das Fax an, mit dem ich genauso drucken konnte. Dadurch hatte ich sogar ein Gerät weniger statt eines mehr.

 

Schön, dass es so großartige Menschen wie Karl gibt, die einen nicht auslachen, sondern einem helfen, den alten PC-Kumpel zu erhalten und obendrein den Elektroschrottberg ein kleines bisschen zu minimieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Vielleicht macht dieses Beispiel Schule, auch in anderen Bereichen, und kaputt muss nicht immer gleich kaputt bedeuten…

 

„Quod caput est.

Was die Hauptsache ist“.